Presse | News aus Rosenheim
Gefäßmalformationen: Neue Therapien schenken vielen Patienten Hoffnung
Im Gespräch mit Spezialistin Prof. Dr. Natascha Platz Batista da Silva
Gefäßmalformationen zählen zu den eher seltenen, aber oft schwer erkennbaren Erkrankungen des Gefäßsystems. Sie können in verschiedenen Körperregionen auftreten und erfordern eine sorgfältige Diagnostik. Wie sie entstehen und von welchen innovativen Behandlungsmethoden Betroffene jetzt profitieren können, erklärt Prof. Dr. Natascha Platz Batista da Silva, leitende Oberärztin der Radiologie und Spezialistin am neuen Interdisziplinären Zentrum für Gefäßmalformationen (IZG) des RoMed Klinikums Rosenheim.
„Gefäßmalformationen sind selten, aber behandelbar“
Frau Professor Platz, was genau versteht man unter einer Gefäßmalformation?
Gefäßmalformationen sind seltene, meist angeborene Fehlbildungen von Blut- oder Lymphgefäßen, die alle Körperregionen betreffen können. Man unterscheidet zwei Formen: solche mit schnellem Blutfluss („fast-flow“) und solche mit langsamem Fluss („slow-flow“). Je nach Gefäßtyp gibt es venöse, arteriovenöse, lymphatische oder kapilläre Malformationen. Meist entstehen sie durch eine spontane genetische Mutation, die zu einer „Fehlkodierung“ des Gewebes führt.
Wie stark unterscheiden sich die Auswirkungen bei den Betroffenen?
Die Ausprägung kann sehr unterschiedlich sein: Manche spüren gar nichts, andere leiden unter sichtbaren Veränderungen oder Schmerzen. Die Fehlbildungen wachsen in der Regel ein Leben lang mit den betroffenen Patienten mit, sofern sie nicht ursächlich behandelt werden.
Wie wird eine Gefäßmalformation diagnostiziert?
Die Diagnose beginnt immer mit einem ausführlichen Gespräch und einer gründlichen körperlichen Untersuchung. Je nach Befund helfen bildgebende Verfahren wie Ultraschall oder MRT das Ausmaß der Gefäßfehlbildung genauer sichtbar zu machen – wichtig vor allem für die Therapieplanung. Bei arteriovenösen Malformationen (AVM), kann zudem vor der Behandlung eine Angiographie sinnvoll sein.
Therapien: Von konventioneller Sklerosierung bis Hightech-Verfahren
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es heute?
Am IZG bieten wir ein breites Spektrum konservativer und invasiver Therapien. Je nach Lokalisation, Anomalieart und Beschwerdesymptomatik erstellen wir für jeden Patienten ein individuelles Behandlungskonzept. Im Vordergrund stehen minimal-invasive Verfahren: Slow-Flow-Malformationen behandeln wir durch Sklerosierung, also Verödung. High-Flow-Malformationen durch Embolisation, das heißt, durch gezieltes Verschließen der Gefäße. Besonders innovativ sind die neuen Methoden Bleomycin-Elektrosklerotherapie (BEST) und -Elektroembolotherapie (BEET). Sie eröffnen erstmals wirksame Optionen für Krankheitsbilder, die zuvor kaum behandelbar waren. Neben einer sklerosierenden bzw. embolisierenden Wirkung, was letztlich so etwas wie eine Narbenbildung erzeugen soll, wird durch die neuen Verfahren ein Untergang der Gefäßmalformation hervorgerufen.
Wie sehr profitieren die Patientinnen und Patienten davon?
In der Regel führen die Behandlungsoptionen zu einer deutlichen Symptomlinderung und neuer Lebensqualität. Viele Betroffene haben eine lange Leidensgeschichte. Durch diese Verfahren erfahren sie oft erstmal spürbare Erleichterung und schöpfen neue Hoffnung.
Welche Rolle spielt die Psyche im Umgang mit der Erkrankung?
Um meinen Patienten nicht nur Wissen über ihre Krankheit zu vermitteln, sondern auch den individuellen Umgang damit zu erleichtern, versuche ich sie in ausführlichen Gesprächen aufzufangen und abzuholen. Viele Betroffene gehen erstaunlich positiv mit ihrer Malformationserkrankung um. Allerdings gibt es auch gegenteilige Verläufe. Manche leiden unter chronischen Schmerzen und entwickeln Depressionen. Hier helfen persönliche Gespräche und die Empfehlung einer psychologischen Begleitung. Denn allein den Körper zu therapieren reicht nicht.
Risiken und Komplikationen
Gehen Gefäßmalformationen häufig mit anderen Erkrankungen oder Komplikationen einher?
Das hängt ganz von der Art und Schwere der Gefäßanomalie und Organbeteiligung ab. Manche Betroffene haben nur leichtere Beschwerden, etwa eine chronische Venenschwäche. In anderen Fällen kann es jedoch zu schwerwiegenden Komplikationen kommen – zum Beispiel zu Problemen mit Herz, Lunge oder Leber, die im schlimmsten Fall sogar lebensbedrohlich werden. Gerade deshalb ist es entscheidend, dass Patienten mit Gefäßmalformationen langfristig in einem spezialisierten Zentrum betreut werden. Leider gibt es in Deutschland nur wenige, weshalb eine gezielte Überweisung besonders wichtig ist.
Forschung und Zukunft
Welche neuen Entwicklungen gibt es in der Behandlung?
Die Forschung konzentriert sich zunehmend auf genetische Ursachen. Wir versuchen bis heute zu verstehen, wie die Anomalien entstehen, warum sie sich verhalten, wie sie es tun und die Patienten entsprechende Symptome haben. Ziel ist es, die Signalwege, die Fehlbildungen auslösen, medikamentös zu beeinflussen. Ein absoluter Game Changer sind die Verfahren BEST und BEET. Sie ermöglichen erstmals, bestimmte arteriovenöse Malformationen (AVM) oder mikrozystische lymphatische Malformationen dauerhaft zu behandeln, die zuvor in vielen Fällen unbehandelbar waren und trotz mehrfacher Eingriffe immer wieder auftraten. Heute wissen wir, es sind nicht nur die Gefäße an sich, sondern auch das Umgebungsgewebe, welches behandelt werden muss. Ich bin mir sicher, dass wir damit beispielsweise die Amputationsrate bei Patienten mit Gefäßfehlbildungen an Armen oder Beinen deutlich senken können. Auch bei Lymphgefäßmalformationen können diese Methoden oft schon in einer einzigen Behandlung wirksam sein.
Rat für Betroffene
Was empfehlen Sie Menschen, die eine Gefäßmalformation vermuten?
Wer den Verdacht hat, sollte frühzeitig zum Arzt gehen. Der eigene Haus- oder Kinderarzt kann eine erste Einschätzung geben und bei Bedarf an spezialisierte Zentren überweisen. Umfangreiche Informationen einschließlich bildgestützter Patientenbeispiele bietet die Webseite www.compgefa.de. Grundsätzlich gilt: Gefäßmalformationen sind gutartig und in jedem Alter behandelbar. Eine Beratung im spezialisierten Zentrum hilft, die passenden Therapieoptionen zu finden und den Leidensdruck zu verringern. Auch unser IZG steht jederzeit für Fragen zur Verfügung.
Gefäßmalformationen – das Wichtigste auf einen Blick
- Definition: Angeborene oder selten erworbene Fehlbildungen der Blut- oder Lymphgefäße
- Symptome: Schwellungen, Hautveränderungen, Schmerzen, Funktionseinschränkungen, Infekte, Entzündungen, Blutungen
- Diagnose: Untersuchung, Ultraschall, MRT, ggf. Angiographie
- Therapie: Minimal-invasive Verfahren (Sklerosierung, Embolisation, BEST, BEET), konservative Maßnahmen, selten Operation
- Prognose: Heilung bei klar begrenzten Befunden möglich, sonst langfristige Symptomkontrolle als Ziel
Kontakt:
Interdisziplinäres Zentrum für Gefäßanomalien (IZG)
RoMed Klinik für Radiologie und Neuroradiologie
Ellmaierstraße 23
83022 Rosenheim
Terminvereinbarung unter Tel. 08031 365-3551